Zusammenhalt braucht keinen Anlass
Was mich in den 80ern und frühen 90ern geprägt hat, war die Amimess, ein deutsch-amerikanisches Volksfest, das in einer Siedlung in Karlsruhe stattfand, in der damals amerikanische Soldaten stationiert waren.
Mir persönlich gefiel die Amimess deutlich besser als die „normale“ deutsche Kirmes, die dreimal im Jahr in Karlsruhe aufgebaut wurde. Das lag natürlich vor allem an den Amerikanern.
Man kann von Amerika halten, was man will, aber am Ende sind wir doch alle Menschen. Mit unterschiedlichen Prägungen, Erziehungen und Werten. Nicht mehr und nicht weniger. Aber was mich damals faszinierte, war ihre entspannte Art. Diese gewisse Lockerheit, ihr Humor, ihre Offenheit, sie wirkten einfach… cool. Und dann diese Burger! Wer einmal dort gegessen hat, versteht nicht, wie man diese Putzlappenburger der beiden bekannten Ketten mögen kann. Bis heute ein Rätsel.
Was mich aber noch mehr beeindruckt hat, war etwas anderes: Die Wohnsiedlung bestand aus diesen typischen langgezogenen Mehrfamilienhäusern, wie man sie baute, wenn man schnell viel Wohnraum schaffen wollte. Vier oder fünf Stockwerke, pro Etage zwei Wohnungen, alle zehn Meter ein Hauseingang.
Und vor jedem dieser vielen Hauseingänge: ein Grill.
Kein Witz, die gehörten quasi zum Inventar. Und sie wurden benutzt! In den warmen Monaten saßen und standen die Menschen draußen, redeten, grillten, lachten. Es war lebendig. Man konnte den Zusammenhalt spüren. So eine Art Gemeinschaft, wie ich sie sonst in Deutschland nie wieder erlebt habe.
Klar, auch hier wird gegrillt. Aber meist hinterm Haus, hinter der Hecke, im eigenen Garten. Unter sich.
Nicht offen, nicht gemeinsam. Mehr „mein Garten, meine Bratwurst“ als „komm rüber, setz dich zu uns“.
Wenn man im Ausland unterwegs ist, erlebt man oft das Gegenteil: Da treffen sich Menschen am Abend auf öffentlichen Plätzen. Einfach so. Reden, lachen, weinen, spielen Karten, schauen den Kindern beim Toben zu. Und zwar generationsübergreifend. Kein Dorffest nötig, kein Anlass. Nur der Mensch, der andere Menschen trifft.
In Deutschland? Zusammenhalt gibt’s meist nur „anonym“, sobald es Alkohol gibt. Dann sind wir plötzlich alle Brüder. Aber echtes Miteinander? Das passiert hier höchstens, wenn es Katastrophen gibt. Ahrtal, Hochwasser, große Not. Dann kann’s plötzlich gehen.
Doch warum braucht es erst das Leid, um Menschlichkeit hervorzubringen?
Ich weiß nicht, wo wir falsch abgebogen sind. Aber irgendwas ist gewaltig aus dem Gleichgewicht geraten.
Wir sind soziale Wesen. Wir brauchen einander. Wir brauchen Gemeinschaft und ja, auch die Natur. Letztere leidet ohnehin schon genug unter unserer Ignoranz.
Dieses „erstmal ich, nach mir die Sintflut“ ist ein Krankheitssymptom unserer Zeit.
Ich erinnere mich an die Serie „Dick & Doof“. Die beiden machten ihrem Namen alle Ehre, sie stritten, sie zankten, sie waren völlig verschieden. Und doch: Man spürte diese absurde Zuneigung zwischen ihnen. Einen Funken Zusammenhalt, trotz aller Unterschiede.
Wir sind alle Menschen.
Ob dick, ob doof, ob Wunderkind, Faultier oder Extremsportler.
Und genau das ist doch das Schöne! Die Unterschiede.
Aber: Der Doofe kann vom Dicken lernen. Der Sportler kann das Faultier motivieren. Das Wunderkind kann sein Talent einsetzen, um anderen zu helfen.
Und doch leben wir in einer Welt, in der der Egoismus oft mehr zählt als Menschlichkeit.
„Mein Haus. Mein Auto. Mein Konto. Mein Urlaub. Mein teurer Whisky.“
Und ich so: Mir ist das sowas von egal.
Wenn jemand daran Freude hat, bitte. Aber definiere dich nicht darüber.
Nicht vor anderen. Und erst recht nicht vor dir selbst.
Wir reden über Inklusion, über Diversity, über Toleranz. Alles schön und gut.
Aber echter Zusammenhalt? Fehlanzeige.
Schlimm genug, dass es solche Sätze gibt wie:
„Du merkst erst, wer zu dir hält, wenn du in der Scheiße steckst.“
Warum eigentlich erst dann?
Müssten wir nicht immer ein bisschen mehr aufeinander achten?
Ich nehme mich da nicht aus. Auch ich kann jeden Tag neu dazulernen.
Zusammenhalt muss man nicht predigen. Man muss ihn leben.
Und wenn es viele kleine Gesten gibt, irgendwann wird es normal.
Zusammenhalt heißt nicht, dass man jeden mögen muss. Wirklich nicht.
Aber: Ein bisschen weniger lästern. Ein bisschen öfter helfen.
Ein bisschen mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation, das tut allen gut.
Dem dahinten. Dir. Und mir.
Davon bin ich fest überzeugt.
– Roland